Neue BAG-Rechtsprechung zu VSOP: weitreichende Folgen für Arbeitgeber

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 23. Oktober 2025 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Mitarbeiterbeteiligungsprogramme erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit, vor allem bei jungen stark wachsenden Unternehmen. Virtuelle Aktienoptionsprogramme (VSOP) sind dabei verbreitete Vergütungsinstrumente. Mit zwei Urteilen vom März 2025 ändert das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine bisherige Rechtsprechung grundliegend. Gevestete virtuelle Optionen gelten nun als Vergütung. Im Arbeitsverhältnis ausgeübte virtuelle Optionen sind nun u.U. bei einer Karenzentschädigung zu berücksichtigen. Dies hat weitreichende Folgen, nicht nur für die Gestaltung von VSOPs, sondern vor allem auch für die wirtschaftlichen Folgen eines Exits. Unternehmen sollten ihre Optionsprogramme daher rechtlich und finanziell neu aufsetzen.


Einführung

VSOPs gehören heute zu den beliebtesten Vergütungsinstrumenten moderner Unternehmen. Vor allem Start-ups, wachstumsstarke Tech-Firmen und internationale Konzerne nutzen sie, um Mitarbeitende zu motivieren, zu binden und am wirtschaftlichen Erfolg zu beteiligen. Durch VSOPs entstehen für Mitarbeitende Auszahlungsansprüche bei bestimmten Ereignissen – etwa bei einem Börsengang oder Unternehmensverkauf („Exit“) –, ohne dass das Unternehmen Anteile ausgeben muss.

 

Für die Höhe des Auszahlungsanspruchs kommt es dabei darauf an, wie viele der Optionen zum Zeitpunkt des Exits „gevested“ oder „ungevested“ sind. „Gevestet“ sind Optionen dann, wenn die vertraglich vereinbarte Warte- oder Leistungszeit („Vesting-Periode“) abgelaufen ist und der Mitarbeiter damit einen unwiderruflichen Anspruch auf spätere Ausübung der Option erworben hat. Sie werden bei Berechnung der Höhe des Auszahlungsanspruchs berücksichtigt, während ungevestete Optionen dabei außen vorbleiben.

 

Der Charme der gängigen Praxis lag vor allem darin, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) eine sehr arbeitgebergeberfreundliche Gestaltung mit einer guten Bindungswirkung ermöglichte: Die so genannten „Leaver“-Klauseln konnten anders als bei Bonusprogrammen, so gestaltet werden, dass z.B. bei einer Eigenkündigung sämtliche Optionen, gevestet oder ungevested, verfielen. Möglich wurde dies durch den Rechtscharakter, den das BAG den virtuellen Optionen beimaß: Das BAG betrachtete virtuelle Optionen nicht als Vergütung, sondern eine zusätzliche, freiwillige Chance.

 

Dadurch ergab sich auch eine zweite Konsequenz: Virtuelle Optionen waren im Rahmen einer Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot i.S.d. § 74 Handelsgesetzbuch (HGB) nicht zu berücksichtigen.


Paradigmenwechsel durch zwei Urteile des BAG aus März 2025

Doch mit zwei Urteilen aus dem März 2025 hat das BAG diesen rechtliche Rahmen grundlegend verändert:

 

Im Zentrum steht das Urteil des BAG vom 19.03.2025 (10 AZR 67/24) zum Verfall virtueller Optionen. Es markiert einen echten Paradigmenwechsel: Gevestete virtuelle Optionen sind als Vergütung zu qualifizieren.

 

In seinem weiteren Urteil vom 27.3.2025 – (8 AZR 63/24), entschied das BAG zudem, dass ausgeübte virtuelle Optionen bei einer Karenzentschädigung nach § 74 HGB miteinzubeziehen sind.

 

Beide Entscheidungen haben erhebliche Konsequenzen für Arbeitgeber, die weit über reine Vertragsdetails hinausgehen.

 

Auswirkung auf gängige Verfallsklauseln

Mit der Entscheidung vom 19. März 2025 hat das BAG seine frühere Linie zum Charakter von virtuellen Optionen ausdrücklich aufgegeben. Es stellt klar: Gevestete virtuelle Aktienoptionen sind Vergütung im Sinne des § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

 

Damit unterliegen VSOP-Verträge – wie andere arbeitsvertragliche Vergütungsabreden – der AGB-Kontrolle nach § 307 BGB. Die in der Praxis weit verbreiteten Klauseln, die bei Eigenkündigung oder nach Ausscheiden aus dem Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen („bad leaver“) den sofortigen oder beschleunigten Verfall der gevesteten Optionen anordnen, sind nach Ansicht des BAG unwirksam, da sie Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen:

 

Es handelt sich bei gevesteten Optionen um bereits erdientes Entgelt, das durch eine solche Klausel rückwirkend entzogen wird. Dies hat auch Auswirkungen auf den Verfall von gevesteten Optionen nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers. Einem sofortigen Verfall der virtuellen Optionen nach dem Ausscheiden erteilt das BAG eine Absage. Zulässig ist nur noch ein Verfall in einem Zeitraum, der der Vesting-Periode und der Vesting-Mechanik entspricht. Das Urteil des BAG legt nahe, dass ungevestete Optionen bei einem Ausscheiden nach wie vor verfallen können.

 

Diese Rechtsprechungsänderung hat tiefgreifende Auswirkungen: VSOPs verlieren ihren Charakter als rein bindungsorientiertes Instrument und werden zu einem geschützten Vergütungsbestandteil, der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterwirken kann.

 

Wirtschaftliche Folgen der Rechtsprechungsänderung

Die wirtschaftliche Tragweite dieser Entscheidung ist erheblich. In der Vergangenheit war es üblich, dass VSOP-Verpflichtungen nur gegenüber der aktiven Belegschaft relevant waren. Künftig gilt: Gevestete Optionen bestehen für einen bestimmten Zeitraum fort, auch wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Damit steigt die Zahl potenzieller Anspruchsberechtigter bei einem Ausübungsereignis – etwa IPO oder Exit – erheblich.

 

Dies führt zu mehreren Konsequenzen: 

  • Erhöhte Rückstellungen: Unternehmen müssen ihre Bilanzierung anpassen und künftig auch Ansprüche ausgeschiedener Mitarbeitende berücksichtigen.
  • Komplexere Liquiditätsplanung: Auszahlungen im Exitfall können nicht mehr klar auf den aktuellen Personalbestand begrenzt werden.
  • Mehr Transparenz in Transaktionen: Im Rahmen von Due-Diligence-Prüfungen werden latente VSOP-Verpflichtungen eine größere Rolle spielen.
  • Längerfristige Nachhaftung: Arbeitgeber müssen gegebenenfalls Jahre nach Ausscheiden eines Mitarbeiters noch Zahlungen leisten.


Für Unternehmen mit hoher Mitarbeiterfluktuation kann dies eine massive Veränderung der Finanzierungs- und Risikostruktur bedeuten. Ein Exit-Ereignis Jahre nach dem Ausscheiden zahlreicher Mitarbeiter kann in ehebliche Zahlungsverpflichtungen münden. Für die Bilanzierung nach HGB und IFRS ergeben sich dadurch neue Herausforderungen. Rückstellungen, die bislang nur für aktive Mitarbeiter gebildet wurden, müssen auch Ansprüche ausgeschiedener Mitarbeiter einbeziehen.

 

Auch auf M & A-Transaktionen hat das Urteil des BAG Auswirkungen: Im Rahmen von Due-Diligence-Prüfungen werden VSOP-Verpflichtungen künftig noch stärker in den Blick genommen. Käufer und Investoren werden nicht nur auf die Zahl der bestehenden Optionen, sondern auch auf die Zahl der bereits gevesteten und damit unverfallbaren Rechte achten. Je größer die Zahl dieser Rechte, desto größer das Risiko künftiger Liquiditätsabflüsse.

 

Auswirkungen auf Karenzentschädigungen

In dem Urteil des BAG vom 27.03.2025 ging es um die Frage, ob Auszahlungen aus virtuellen Aktienoptionen als „vertragsmäßige Vergütung“ im Sinne des § 74 Abs. 2 HGB gelten und damit bei der Berechnung der Karenzentschädigung zu berücksichtigen sind.

 

Der Fall: Ein leitender Angestellter hatte während seines Arbeitsverhältnisses VSOPs erhalten. Ein Teil dieser Optionen wurde kurz vor dem Ausscheiden ausgeübt, ein weiterer Teil erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer verlangte, dass auch die nachträglichen Ausübungen bei der Berechnung der Karenzentschädigung berücksichtigt werden. Das BAG lehnte dies ab.

 

Die zentrale Aussage des BAG  lautet: 

  • Zahlungen aus VSOP-Programmen sind nur dann in die Berechnung der Karenzentschädigung einzubeziehen, wenn die Ausübung während des laufenden Arbeitsverhältnisses erfolgt ist.
  • Nachträgliche Ausübungen – also nach dem Ausscheiden – bleiben außer Betracht.


Begründet wird dies mit dem Entgeltbegriff des § 74 Abs. 2 HGB: Maßgeblich ist die „zuletzt bezogene vertragsmäßige Vergütung“. Diese bezieht sich auf Vergütung, die tatsächlich während des Arbeitsverhältnisses zufließt oder rechtlich entstanden ist. Eine Ausübung nach dem Ausscheiden stellt kein Entgelt für die Wettbewerbsverbotszeit dar, sondern beruht auf einem nachwirkenden Anspruch aus dem früheren Arbeitsverhältnis.

 

Damit grenzt das BAG klar zwischen Entgeltbestandteilen, die die Berechnungsbasis für die Karenzentschädigung bilden, und solchen, die lediglich aus früheren Ansprüchen resultieren.

Für Arbeitgeber bedeutet das ein Stück Planungssicherheit: Nachträgliche VSOP-Ausübungen erhöhen die Karenzentschädigung nicht. Allerdings kann eine Ausübung kurz vor Vertragsende die Entschädigung signifikant steigern, da sie in die Berechnungsgrundlage einfließt. Arbeitgeber sollten daher die Ausübungsfenster und Fristen klar definieren, um finanzielle Überraschungen zu vermeiden.

 

In der Praxis empfiehlt sich, die Ausübung von Optionen nach Vesting, aber vor Vertragsende, an transparente und dokumentierbare Prozesse zu binden. So lässt sich vermeiden, dass kurzfristige Ausübungen – möglicherweise gezielt vor Ausscheiden – zu überhöhten Karenzentschädigungen führen.

 

Diese Entscheidung schafft Klarheit, verschiebt die Verantwortung aber zu den Arbeitgebern: Sie müssen bewusst steuern, wann VSOPs ausgeübt werden können, um rechtliche Sicherheit und Kostenkontrolle zu gewährleisten.

 

Handlungsempfehlungen

In dem Urteil des BAG vom 27.03.2025 ging es um die Frage, ob Auszahlungen aus virtuellen Aktienoptionen als „vertragsmäßige Vergütung“ im Sinne des § 74 Abs. 2 HGB gelten und damit bei der Berechnung der Karenzentschädigung zu berücksichtigen sind.

 

Angesichts der beiden Entscheidungen ist klar: VSOPs sind für Arbeitgeber kein reines Incentive-Instrument mehr, sondern ein verbindlicher Vergütungsbestandteil mit rechtlichen, bilanziellen und finanziellen Langzeitwirkungen. Arbeitgeber sollten:

 

  • bestehende VSOP-Verträge umfassend rechtlich überprüfen und neu strukturieren,
  • Teilnehmerkreis unter Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ggf. einschränken.
  • Verfallklauseln prüfen und ggf. neu gestalten,
  • Vesting-Mechanismen prüfen und ggf. überarbeiten;
  • Ausübungsfenster und Bewertungsmechanismen festlegen,
  • Rückstellungen für Ansprüche ausgeschiedener Mitarbeitender bilden,
  • Karenzentschädigungsrisiken kalkulieren und in Personal- und Finanzplanung einbeziehen,
  • Exit- und Finanzierungsplanung auf erweiterte Anspruchsgruppen ausrichten.


Besonders wichtig ist, dass Unternehmen VSOPs künftig integrativ denken: als arbeitsrechtlich geschütztes Vergütungsinstrument, das Auswirkungen auf Personalpolitik, Bilanzierung, Liquidität und Corporate Governance hat.

 

Fazit

Die Entscheidungen des BAG vom 19. und 27. März 2025 verändern den Umgang mit virtuellen Aktienoptionsprogrammen grundlegend. Pauschale Verfallklauseln sind unwirksam, gevestete Optionen bleiben auch nach Ausscheiden für einen bestimmten Zeitraum analog der Vesting Periode bestehen, und die Einbeziehung von virtuellen Optionen in die Karenzentschädigung richtet sich streng nach dem Zeitpunkt der Ausübung.

 

Arbeitgeber müssen darauf reagieren – nicht nur juristisch, sondern auch finanziell und strategisch. Wer seine Programme, Rückstellungen und Planungsprozesse rechtzeitig anpasst, kann die neuen Rahmenbedingungen beherrschen und VSOPs weiterhin effektiv einsetzen. Wer das versäumt, riskiert erhebliche Nachforderungen Jahre nach dem Ausscheiden von Mitarbeitenden – insbesondere bei erfolgreichen Exits.​​​​

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