Die Notwendigkeit einer Arbeitszeiterfassung – es droht Beweisnot!

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zuletzt aktualisiert am 16. Juni 2020 | Lesedauer ca. 2 Minuten

von Juliane Krafft und Michael Kretschmann

  

Das Arbeitsgericht Emden hat kürzlich entschieden (Urteil vom 20. Februar 2020, Az.: 2 Ca 94/19), dass Arbeitgeber generell verpflichtet seien, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Diese Entscheidung ist – soweit ersichtlich – die Erste, die auf Grundlage des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung (Urteil vom 14. Mai 2019 – C-55/18) und in unmittelbarer Anwendung europäischen Rechts eine generelle Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung vorsieht.

  

  

Der Kläger war bei der Beklagten als Bauhelfer auf Stundenbasis tätig. Diese zahlte an den Kläger lediglich eine Vergütung auf der Basis von 183 geleisteten Stunden, die sich aus dem Bautagebuch ergaben. Der Kläger behauptete unter Verweis auf seine eigenen Stundenaufzeichnungen, im Umfang von 195,05 Stunden tätig gewesen zu sein und klagte die Differenzlohnforderung ein.

 

Entscheidung

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung der noch ausstehenden Vergütung für die weiteren 12,05 Stunden. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, dass im Vergütungsprozess eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast bestehe, wonach der Arbeitnehmer zunächst darzulegen habe, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf arbeitgeberseitige Weisung hierzu bereitgehalten habe. Erst danach obliege es dem Arbeitgeber, sich hierauf substantiiert – unter Angabe der dem Arbeitnehmer zugewiesenen Arbeiten, deren Befolgung sowie deren zeitlicher Lage – zu äußern. Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, den Vortrag des Arbeitnehmers umfassend entgegenzutreten, gelte der Vortrag des Arbeitnehmers als zugestanden.

 

Während der Kläger vorliegend der ihm obliegenden Darlegungslast nachgekommen sei, erweise sich der arbeitgeberseitige Vortrag insoweit nicht als hinreichend. Das Arbeitsgericht sah in dem Bautagebuch kein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitszeitrichtlinie. Ein solches System habe die Beklagte nicht eingerichtet, sodass sie keine objektiven und verlässlichen Daten habe vorlegen können, anhand derer sich die Arbeits-zeiten des Klägers nachvollziehen ließen. Da die Anforderungen an die Arbeitszeiterfassung nicht erfüllt waren, sei das Bautagebuch auch nicht als Erwiderung auf den Vortrag des Arbeitnehmers heranzuziehen. Es handele sich hierbei schon nicht um ein System zur tatsächlichen Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten, da es vielmehr der Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Ingenieure diene. Etwaige notwendige Anfahrts- und Rüstzeiten, die auch arbeitsvertragliche Arbeitszeiten sind, seien im Bautagebuch auch nicht aufgezeichnet.

 

Die Beklagte hat damit nach der Auffassung des Arbeitsgerichts Emden gegen ihre Verpflichtung aus Art. 31 Abs. 2 der EU Grundrechte-Charta zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems für die Erfassung der täglichen Arbeitszeit des Klägers verstoßen.

 

Diese Verpflichtung ergebe sich aus der unmittelbaren Anwendung von Art. 31 Abs. 2 der EU Grundrechte-Charta sowie der in deren Lichte auszulegenden Art. 3, 5 und 6 der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG), denen sich die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung entnehmen ließe. Diese Pflicht treffe den Arbeitgeber ohne dass es hierzu einer Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber bedürfe.

 

Konsequenzen für die Praxis

Das Arbeitsgericht Emden verpflichtet Arbeitgeber damit zur generellen Arbeitszeiterfassung aller Mitarbeiter. Das deutsche Recht kennt bislang nur Spezialregelungen zur Arbeitszeiterfassung in bestimmten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen sowie mit § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) die Aufzeichnung von Mehrarbeit.

 

Die unmittelbare Anwendung europäischen Rechts, wie hier vom Arbeitsgericht Emden vorgenommen, ist umstritten. Es bedarf in Umsetzung der europäischen Vorgaben und zur Klarstellung und Rechtssicherheit einer entsprechenden Anpassung des deutschen Rechts, also des ArbZG. Diese dürfte voraussichtlich größtenteils an die bereits bestehenden Regelungen im Hinblick auf Aufbewahrungsfristen, die Ahndung von Verstößen und der Delegationsmöglichkeit der Aufzeichnung auf die Mitarbeiter anknüpfen.

 

Abzuwarten bleibt, ob Ausnahmen für bestimmte Tätigkeiten oder Unternehmen vorgesehen werden. Der EuGH hatte in seiner Entscheidung diese Möglichkeit angenommen. Interessant wird sein, welche Umsetzungsmöglichkeiten einzelne Unternehmen zur Zeiterfassung nutzen oder entwickeln werden; bestimmte Vorgaben zur Form der Zeiterfassung (Erfassung mittels eines elektronischen Systems, durch händisch erstellte Stundenzettel oder in anderer Form) existieren nämlich nicht. Sie dürfte insbesondere von den jeweiligen Einzel- und Besonderheiten der Unternehmen, Arbeitnehmer und Tätigkeiten abhängen. Natürlich spielt dabei auch die Berücksichtigung des Datenschutzrechts eine relevante Rolle.

 

Im Hinblick auf Vergütungsprozesse sind Arbeitgeber bereits jetzt gut beraten, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter möglichst konkret zu erfassen, um im Streitfall ihrer Darlegungs- und Beweislast nachkommen zu können.

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