Kampf ums Cockpit – Bundeskartellamt nimmt Googles Praktiken rund um die Automotive Services ins Visier

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veröffentlicht am 22. Juni 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

In einer Pressemitteilung vom 21. Juni 2023 hat das Bundeskartellamt bekannt gegeben, dass es seine vorläufige rechtliche Einschätzung zu Googles Praktiken im Zusammenhang mit den Google Automotive Services an Alphabet/Google übersandt hat. Nach dem jetzigen Verfahrensstand beabsichtigt das Bundeskartellamt unter Anwendung der neuen Vorschriften für Digitalkonzerne (§ 19a GWB), Google ver­schie­dene wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen zu untersagen. Damit greift das Bundeskartellamt erstmals in den Kampf der Tech-Giganten ums Cockpit ein. Neben Google buhlen auch Apple (Car Play) und Amazon um die Gunst der Autobauer, um ihre Marktposition weiter auszubauen.


  

Worum es geht

Die Google Automotive Services sind ein Produktbündel, das Google Fahrzeugherstellern zur Lizensierung anbietet. Es umfasst den Kartendienst Google Maps, eine Version des App-Stores Google Play und den Sprachassistenten Google Assistant. Als Betriebssystem wird eine von Google entwickelte Variante von Android, das Android Automotive Operating System (AAOS) verwendet. Die Kombination der drei Dienste mit AAOS, die GAS Infotainment Plattform, stellt ein im Wesentlichen vollständiges Infotainmentsystem für Fahrzeuge dar. 
 
Google bietet Fahrzeugherstellern die drei Dienste allerdings grundsätzlich nur als Bündel an und macht weitere Vorgaben für die Präsentation dieser Dienste im Infotainmentsystem, damit diese bevorzugt genutzt werden.
 
Nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamtes erfüllt Googles Verhalten die Voraussetzungen mehrerer Tatbestände des neugeschaffenen § 19a GWB.
 
Die Kritik des Bundeskartellamtes im Zusammenhang mit Google Automotive Services (GAS) stützt sich vorliegend im Wesentlichen auf folgende Kernpunkte: 
  • Auf Grund der Tatsache, dass es sich bei den GAS um ein Produktbündel bestehend aus dem Kartendienst Google Maps, einer Version des App-Stores Google Play und des Sprachassistenten Google Assistant handelt, die Google den Autoherstellern nur zusammen anbietet, könnte es zu einer Ausweitung der Marktmacht von Google kommen.
  • Ferner stößt die mit einigen Fahrzeugherstellern vereinbarte Beteiligung an Werbeeinnahmen aus der Nutzung des Google Assistant unter der Bedingung, dass ausschließlich der Google Assistant als Sprachassistent in der GAS Infotainment Plattform installiert wird, ebenfalls auf kartellrechtliche Bedenken.
  • Des Weiteren könnten nach Ansicht der Wettbewerbshüter die vertraglichen Regelungen, mit denen Google GAS-Lizenznehmer dazu verpflichtet, die Google-Dienste als Standard einzustellen bzw. sie in der Bild­schirm­anzeige vor anderen Anwendungen darzustellen, den Tatbestand der Behinderung beim Marktzugang erfüllen. Derartige Voreinstellungen bergen die Gefahr, dass alternative Dienste kaum wahrgenommen und dementsprechend wenig genutzt werden. 
  • Schließlich könnte Google die Interoperabilität ihrer Dienste in der GAS Infotainment Plattform mit Diensten Dritter erschweren bzw. verweigern. Dies führt dazu, dass die Funktionen der von den Wettbewerbern bereitgestellten Dienste, z.B. eines Sprachassistenten zur Steuerung der Navigationsfunktion in Google Maps, nicht oder nur eingeschränkt nutzbar sind.
 

Der rechtliche Rahmen

§ 19a GWB als Instrumentarium der erweiterten Missbrauchsaufsicht 

Das Vorgehen des Bundeskartellamtes stützt sich maßgeblich auf die neuen Befugnisse, die die Behörde im Rahmen der erweiterten Missbrauchsaufsicht über große Digitalkonzerne Anfang des Jahres 2021 erhalten hat. Rechtsgrundlage für das Vorgehen des Bundeskartellamtes ist die Vorschrift des § 19a GWB, die aufgrund einer Gesetzesänderung im Rahmen der 10. GWB-Novelle neu eingeführt wurde. Mit der Neuregelung beabsichtigte der Gesetzgeben flankierend zu den regulatorischen Maßnahmen auf europäischer Ebene, wie dem Digital Markets Act (DMA) , auch den nationalen kartellrechtlichen Rahmen an die mit der Digitalisierung verbun­denen Probleme und Marktmacht der Tech-Giganten anzupassen.
 
§ 19a gibt dem Bundeskartellamt eine nationale Rechtsgrundlage an die Hand, um das Marktverhalten der Digitalkonzerne zu reglementieren. Das Bundeskartellamt kann in einem zweistufigen Vorgehen Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen. 
 
Die erste Stufe ist die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb (§19a Abs. 1 GWB). Gegenüber Alphabet/Google ist diese Feststellung durch das Bundeskartellamt bereits am 30. Dezember 2021 erfolgt. 
 
Die zweite Stufe ermöglicht Untersagungen spezifischer Verhaltensweisen solcher Unternehmen gemäß den Regeln der speziellen Missbrauchsaufsicht (§19a Abs. 2 GWB). Hierum geht es in dem nun eingeleiteten Verfahren betreffend die Praktiken von Google im Zusammenhang mit den Google Automotive Services.
 

Verhältnis zwischen § 19a GWB und dem Digital Markets Act (DMA)

Aus rechtlicher Sicht ist allerdings bislang unumstritten, ob die für Digitalkonzerne auf nationaler Ebene neu eingeführte Regelung des § 19a GWB neben den Anfang Mai des Jahres in Kraft getretenen europäischen Regelungen des Digital Markets Act (DMA), mit dem große Online-Plattformen einer besonderen Aufsicht unterworfen werden, überhaupt anwendbar ist. Und wenn ja, in welchem Umfang? 
 
Die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung dreht sich in erster Linie um die Frage, ob die Regelungen des § 19a GWB als Regulierungs- oder Wettbewerbsrecht einzuordnen sind. 
 
Käme man zu der Einschätzung, dass es sich hier um eine regulierungsrechtliche Norm handelt, würde die Regelung unter die Ausschlussnorm von Art. 1 Abs. 5 DMA fallen, der einen Anwendungsvorrang zu Gunsten des DMA statuiert.
 
Bei der Einstufung von § 19a GWB als wettbewerbsrechtliche Norm, könnte diese unter die Öffnungsklausel von Art. 1 Abs. 6 DMA fallen. Danach lassen die Regelungen des DMA die Anwendung nationaler Wettbe­werbsvorschriften zum Verbot von wettbewerbswidrigen Vereinbarungen, Beschlüssen von Unternehmens­vereinigungen, aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen und der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung, unberührt. 
 
Ebenfalls unberührt bleiben nationale Wettbewerbsvorschriften, mit denen andere Formen einseitiger Verhaltens­weisen verboten werden, soweit sie auf andere Unternehmen als Digitale Gatekeeper angewandt werden oder Digitalen Gatekeepern damit weitere Verpflichtungen auferlegt werden.
 

Höchstrichterliche Klärung steht noch aus

Aufgrund der bisher ungeklärten Rechtslage ist damit zu rechnen, dass Unternehmen im Falle der Festsetzung behördlicher Maßnahmen durch die nationalen Wettbewerbshüter auf der Grundlage von § 19a GWB ein erhebliches Interesse daran haben dürften, die Frage des Anwendungsvorrangs des DMA gerichtlich klären zu lassen und Rechtsbehelfe gegen entsprechende Verfügungen des Bundeskartellamts einzulegen. Zuständig hierfür ist der BGH. Dieser könnte die Frage dann dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorlegen.
 

Wie es weitergeht

Google hat jetzt Gelegenheit, zu den Vorwürfen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Ob es Google gelingen wird, sachlich überzeugende Argumente für die bisherige Praxis vorzubringen, bleibt abzuwarten. 
 
Sollte dies nicht gelingen, wird das Bundeskartellamt im Rahmen seiner erweiterten Missbrauchsaufsicht über Digitalkonzerne auf der zweiten Stufe gestützt auf § 19a Abs. 2 GWB die bisherige Praxis von Google im Zusammenhang mit Google Automotive Services voraussichtlich zumindest in Teilen untersagen. Das rechtliche Instrumentarium hierfür steht den Wettbewerbshütern auf nationaler Ebene jedenfalls grundsätzlich zur Verfügung.
 

Ausblick

Die Entscheidung des Bundeskartellamtes d.h. rein formal handelt es sich ja nur um eine vorläufige Einschätzung  kommt nicht wirklich überraschend. Die großen Digitalkonzerne stehen schon seit längerem im Fokus der Wettbewerbshüter. So sind in der jüngeren Vergangenheit bereits eine Reihe von Verfahren gegen Alphabet/Google, Microsoft, Apple, Amazon und Meta eingeleitet worden. 
 
In einem Parallelverfahren gegen Alphabet/Google geht das Bundeskartellamt z.B. der Frage nach, inwieweit die Bedingungen zur Nutzung der Google Maps Plattform kartellrechtliche Untersagungstatbestände erfüllen, weil Google die Kombination der Kartendienste der Google Maps Plattform mit Kartendiensten Dritter einschränkt.
 
Allen Verfahren gemeinsam ist die Tatsache, dass es sich hier mehr oder weniger um rechtliches Neuland handelt. Entscheidend für eine erfolgreiche Regulierung der Digitalkonzerne wird sein, dass es im Hinblick auf die Durchsetzung nicht zu nationalen Alleingängen kommt, sondern eine enge Kooperation zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden und der EU-Kommission. 
 
Der kürzlich vorgelegte Entwurf der 11. GWB-Novelle schafft erste rechtliche Grundlagen dafür, dass das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des DMA unterstützen kann.
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