„Pre-pack” – Ein neues Verfahren für den Distressed M&A Markt?

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veröffentlicht am 18. Januar 2024 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Die Zunahme der Insolvenzverfahren ist am Markt deutlich zu spüren. Inflation, gestiegene Zinsen und Rohstoffpreise sind nur einige Beispiele für die mannigfaltigen Risiken und Probleme, mit denen Unternehmen derzeit zu kämpfen haben. Die Zunahme der Krisen und Insolvenzverfahren führt aber auch zu einer deutlichen Zunahme von Distressed M&A Deals. Dies führt dazu, dass die Möglichkeit des Kaufs aus der Insolvenz für Unternehmen in der Krise und Investoren wieder mehr in den Fokus rückt. Dies soll zum Anlass genommen werden auch den Richtlinienvorschlag der EU-Kommision zum Pre-pack-Verfahren näher zu beleuchten.


Die EU-Kommission hat bereits am 7.12.2022 einen Richtlinienvorschlag veröffentlicht. Dieser zielt darauf ab, bestimmte Aspekte der mitgliedsstaatlichen Insolvenzvorschriften zu harmonisieren, Mindeststandards sicherzustellen und so grenzüberschreitende Investitionen zu erleichtern.


So sieht der Richtlinienvorschlag unter anderem vor, ein „Pre-pack-Verfahren” einzuführen. Ein solches Pre-pack-Verfahren ermöglicht es, den Verkauf eines Unternehmens bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit einem Dritten zu verhandeln und die Übernahme verbindlich vorzubereiten, so dass diese Transaktion in einem verkürzten Verfahren unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens umgesetzt werden kann. Ein derartiges Pre-pack-Verfahren ist im Markt schon aus anderen Ländern bekannt. Spätestens seit den Urteilen des EuGHs zum Übergang von Arbeitsverhältnissen an einen Übernehmer im Rahmen eines niederländischen „Pre-pack-Verfahrens” ist Pre-pack zumindest ein greifbarer Begriff. Darüber hinaus wurde ein solches Verfahren bereits vor Veröffentlichung des Richtlinienvorschlags in anderen Mitgliedsstaaten, beispielsweise Frankreich und Spanien implementiert. Angelehnt an diese Verfahren sieht der Richtlinienvorschlag nun solche Regelungen für alle Mitgliedsstaaten vor. In der Begründung des Richtlinienentwurfs wird dazu ausgeführt, dass das Pre-pack-Verfahren sicherstellen soll, dass Verfahren, die allgemein als wirkungsvoll angesehen werden, was die Verwertung für die Gläubiger angeht, in strukturierter Weise in den Insolvenz-regelungen aller Mitgliedstaaten verfügbar sind.

Für den deutschen Distressed M&A Markt und die Insolvenzpraktiker stellt sich daher die große Frage, ob – eine Annahme des Richtlinienvorschlags vorausgesetzt – dies die Einführung eines komplett neuen Distressed M&A Verfahrens bedeutet. Eröffnet dieses Verfahren neue Möglichkeiten für Investoren und Unternehmen in der Krise oder handelt es sich nur um eine Modifikation, kein neues Sanierungsinstrument? Liest man sich die Regelungen in dem Richtlinienentwurf unvoreingenommen durch und löst sich von den Begrifflichkeiten, so lässt sich in den geplanten Abläufen zumindest die bereits in deutschen Insolvenzverfahren gelebte Praxis im vorläufigen Insolvenzverfahren erkennen.

Der Richtlinienentwurf sieht ein zweistufiges Distressed-M&A-Verfahren vor. Die Art. 19 ff des Richtlinienvorschlags enthalten Regelungen zur „Vorbereitungsphase”, in welcher versucht wird, einen geeigneten Käufer zu finden. Diese Phase findet vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens statt und wird durch einen „Sachwalter” (in der Originalfassung als „Monitor” bezeichnet) überwacht und begleitet, welcher auf Antrag des Schuldners vom Gericht bestellt wird und später dann auch zum Insolvenzverwalter bestellt werden soll. 

Es soll ein Bieterprozess eingeleitet werden und ein Käufer gefunden werden, dessen Angebot die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger sicherstellt. Weiterhin soll es auch möglich sein in dieser Phase einen Vollstreckungsschutz zu beantragen. 

An die Vorbereitungsphase soll sich die zweite Phase, die „Liquidationsphase” anschließen, in welcher nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Verkauf und die Übernahme der Vermögenswerte genehmigt und umgesetzt werden soll. Zudem findet die restliche Verfahrensabwicklung und Erlösverteilung statt. 

Vergleicht man dieses im Richtlinienentwurf vorgeschlagene zweistufige Verfahren mit der gelebten Distressed M&A Praxis, so stellt man fest, dass auch hier bereits unmittelbar nach Antragsstellung in der Regel ein professioneller M&A-Prozess aufgesetzt und im Erfolgsfalle bereits das Vertragswerk ausverhandelt und die Übertragung vorbereitet wird, so dass am Tag der Insolvenzeröffnung der Verkauf umgesetzt und die entsprechende Zustimmung der Gläubigerversammlung / des Gläubigerausschusses eingeholt werden kann. Eine mögliche Abweichung in den Abläufen könnte sich nur insoweit ergeben als der Richtlinienentwurf nicht zwingend ein förmliches Insolvenzverfahren voraussetzt. Es könnte daher bei der Umsetzung auch überlegt werden ähnlich dem StaRUG ein Verfahren vor dem eigentlichen Insolvenzverfahren zu implementieren. Sofern ein solches Vorverfahren nicht angestrebt werden soll und in die Regelungen der vorläufigen Insolvenzverwaltung integriert wird, lässt der Richtlinienentwurf aber erwarten, dass sich die Richtlinie bei der Umsetzung im Hinblick auf die Abläufe wohl eher nur insoweit auswirken wird, als dass die gelebte Praxis nun auch gesetzlich geregelt wird.

Im Hinblick auf die einzelnen Regelungen des Richtlinienentwurfs finden sich aber auch Bestimmungen, die für den Ablauf einer Distressed M&A-Transaktion eines deutschen Targets neu sind und sich die Rechtspraktiker fragen, ob und inwieweit das überhaupt im deutschen Insolvenzrecht umgesetzt werden kann und soll. Die Richtlinie sieht in Artikel 27 vor, dass dem Käufer des Unternehmens des Schuldners die noch zu erfüllenden Verträge abgetreten werden, die für die Weiterführung der Geschäftstätigkeit des Schuldners erforderlich sind und deren Aussetzung die Geschäftstätigkeit zum Erliegen brächte. Die Zustimmung der Gegenpartei(en) des Schuldners soll für die Abtretung nicht erforderlich sein. Spätestens an dieser Stelle ist wohl jeder Rechtspraktiker beim Lesen ins Stocken geraten. Losgelöst von jeglicher Rechtsdogmatik und grundgesetzlich verankerten Prinzipien wäre eine solche Möglichkeit, den Vertragspartner zu einem Wechsel des Vertragspartners zu zwingen, für die insolvenzrechtliche Praxis ein Gewinn. Viele übertragende Sanierungen sind in der Vergangenheit schon gescheitert, da es faktisch nicht möglich war bzw. nicht realistisch zu erwarten war, dass alle Vertragspartner der insolventen Gesellschaft einer Übernahme der Verträge durch den Erwerber zu gleichen Konditionen zustimmen werden. Dies hat dazu geführt, dass potenzielle Erwerber bereits zuvor Abstand von der Transaktion genommen haben. 

Nach deutschem Rechtsverständnis ist dies aber mit der Vertragsfreiheit unvereinbar. Die Vertragsfreiheit als zivilrechtliches Grundprinzip und Kernelement der Privatautonomie, die grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet ist, sichert zu, dass jeder frei entscheiden kann ob, wie und mit wem er einen Vertrag abschließen möchte. Wenn dem Vertragspartner aber im Rahmen eines Pre-pack-Verfahrens ein neuer Vertragspartner aufgezwungen werden kann, so ist genau dies aber mit der Vertragsfreiheit als ein Kernprinzip des deutschen Rechts nicht vereinbar. 

Es bleibt daher spannend, ob diese Bedenken sich im finalen Wortlaut der Richtline wiederfinden werden und wie die Regelungen insgesamt in der deutschen Insolvenzordnungen umgesetzt werden.

Im Hinblick auf Implementierung des Verfahrens und die Ausgestaltung der Vermögensübertragung bleibt abzuwarten, ob es bei den vorgeschlagenen Regelungen bleibt und wie diese letztlich in der deutschen Insolvenzordnung umgesetzt werden.

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