Whistleblowing in Deutschland

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veröffentlicht am 28. Juni 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

  1. Wie ist der Stand der Umsetzung? »
  2. Weicht gesetzlichen Grundlagen gelten aktuell? »
  3. Welche Rolle kommt dem Betriebsrat zu? »
  4. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine Meldung abzugeben oder liegt es in seinem Belieben? »
  5. Muss der Hinweisgeber schon heute vorrangig firmenintern nach Abhilfe suchen »
  6. Wann hat der Hinweisgeber selbst mit Sanktionen zu rechnen oder ist dieser generell geschützt? »
  7. Wie muss sich der Arbeitgeber gegenüber dem Verdächtigen verhalten? »
  8. Gibt es bereits die Pflicht eine Hinweisgebersystem und externe Meldebehörden einzurichten? »

     

1. Wie ist der Stand der Umsetzung?

Bis zum 17. Dezember 2021 sollten die Mitgliedstaaten die EU-Richtlinie 2019/1937 als sog. „Whistleblower-Richt­linie” in nationales Recht umsetzen. Das ist in Deutschland bislang nicht geschehen. Ein erster Entwurf aus dem Jahre 2020 ist aufgrund von Meinungsverschiedenheit gescheitert und wurde von der Union abge­lehnt. Durch die verstrichene Frist zur Umsetzung wurde von der EU-Kommission bereits ein Vertrags­ver­let­zungs­verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland rechtshängig gemacht. 
 
Seit 13. April 2022 liegt in Deutschland ein neuer Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz vor, der eine konkrete Umsetzung vorsieht und insbesondere in einigen Punkten über die Vorgaben hinausgeht. Es bleibt dennoch abzuwarten, wann das Gesetz in Kraft treten wird.

 

2. Welche gesetzlichen Grundlagen gelten aktuell?

Aktuell gelten in Deutschland keine speziellen arbeitsrechtlichen Regelungen in Bezug auf einen Hinweisgeber. Allerdings gilt das Maßregelungsverbot (§ 612a BGB) zum Schutz des Arbeitnehmers, das dem Arbeitgeber untersagt, einen Arbeitnehmer zu benachteiligen, wenn er seine Rechte in zulässiger Weise ausübt. Daneben hat die Rechtsprechung Rechtsgrundsätze entwickelt, um im Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zwischen der Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung und der Offenlegung von Geschäfts­ge­heimnissen in Ausgleich zu bringen. 
 
Aus dem Arbeitsverhältnis ergeben sich für beide Parteien Nebenpflichten (§ 242 BGB), sodass den Arbeit­neh­mer Treue- und Loyalitätspflichten und den Arbeitgeber Schutz- und Fürsorgepflichten zur gegenseitigen Rück­sichtnahme und Wahrung der Interessen des Vertragspartners treffen. Demnach hat der Arbeitnehmer zwar Missstände zu melden, dabei jedoch insbesondere auch den Ruf des Arbeitgebers zu wahren. Umgekehrt muss der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht den Arbeitnehmer schützen. Der Arbeitgeber muss nicht nur seine Persönlichkeitsrechte, sondern auch dessen berechtigten Interessen wahren, also bspw. seine Identität vertraulich behandeln.
 
Zudem ist bereits heute zur Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen trotz fehlender Umsetzung die Whistleblower-Richtlinie heranzuziehen. Damit besteht zwar aktuell keine unmittelbare Wirkung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, jedoch sind die Arbeitsgerichte bereits seit Ablauf der Umsetzungsfrist zu einer richtlinienkonformen Auslegung des deutschen Rechts verpflichtet. Demnach werden unbestimmte Rechts­begriffe durch richtlinienkonforme Auslegung bestimmt und entfalten gegenüber Privatpersonen immerhin bereits mittelbare Wirkung.

  

3. Welche Rolle kommt dem Betriebsrat zu?

Eine grundsätzliche Pflicht zur Beteiligung des Betriebsrates trifft den Arbeitgeber bei Eingehen eines Hin­wei­ses nicht. Erst bei einer geplanten Kündigung eines Arbeitnehmers ist der Betriebsrat anzuhören. Allerdings hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, wenn der Arbeitgeber generelle Ethikrichtlinien oder Verhaltens­ko­dexe einführen oder verändern möchte, da sie das Ordnungsverhalten des Arbeitnehmers betreffen. 
 
Richtet sich der Arbeitnehmer mit seinem Hinweis nicht direkt an den Arbeitgeber, sondern an den Betriebsrat, so muss dieser versuchen, Abhilfe zu schaffen.

  

4. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine Meldung abzugeben oder liegt es in seinem Belieben?

Der Arbeitnehmer hat zwar den Ruf des Arbeitgebers zu wahren und insbesondere Geschäftsgeheimnisse nicht zu offenbaren, jedoch ist der Arbeitnehmer auch aufgrund der ihm obliegenden Treupflicht angehalten, ihm bekannte Informationen über wesentliche Vorkommnisse im Unternehmen und insbesondere einen dieses betreffenden möglichen Schadens an den Arbeitgeber weiterzuleiten. Diese Anzeigeverpflichtung obliegt jedoch einer Zumutbarkeitsgrenze, sodass der Arbeitnehmer unter Abwägung der Interessen darüber grund­sätzlich selbst entscheidet. Hingegen kann eine individualrechtliche oder kollektivrechtliche Vereinbarung, bspw. in Form einer Ethikrichtlinie oder eines Code of Conduct, den Arbeitnehmer zu einer Meldung ver­pflichten, wenn er einen Verdacht hegt oder Kenntnis über ein Fehlverhalten von anderen Arbeitnehmern und/oder Dritten erlangt.  

 

5. Muss der Hinweisgeber schon heute vorrangig firmenintern nach Abhilfe suchen?

Ob ein Whistleblower vorrangig intern nach Abhilfe suchen muss, ist davon abhängig, ob es sich bei den inner­betrieblichen Missständen um Straftaten oder „nur“ Verstöße gegen firmeninterne Ethikrichtlinien oder gegen Rechtsvorschriften außerhalb des Strafrechts handelt. Liegen reine firmeninterne Ethikrichtlinien oder gegen Rechtsvorschriften außerhalb des Strafrechts vor, so muss der Whistleblower im Allgemeinen vorerst seine Vorgesetzten oder die Geschäftsleitung informieren. Bei sofortiger Meldung an die Öffentlichkeit verstößt der Arbeitnehmer gegen seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, wie Loyalitätspflicht und Treuepflicht. 

 

6. Wann hat der Hinweisgeber selbst mit Sanktionen zu rechnen oder ist dieser generell geschützt?

In Deutschland gibt es gegenwärtig keinen spezifischen Kündigungsschutz für Hinweisgeber. Durch einen Hinweis auf Missstände kann ein Arbeitnehmer wegen einer als illoyal empfundenen Anzeige auch weiterhin aus verhaltensbedingten Gründen abgemahnt oder sogar gekündigt werden, wenn dies nach Abwägung der Umstände im Einzelfall eine verhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitnehmers darstellt. Aller­dings ist i.d.R. bei einer verhaltensbedingten Kündigung eine vorherige Abmahnung erforderlich. Dem Arbeit­nehmer muss in jedem Fall auch die Chance gegeben werden, sich zu erklären. 
  
Im Gegensatz dazu ist der Schutz der Whistleblower-Richtlinie sehr weit gefasst, sodass er bis hin zur Grenze des Missbrauchs reicht. Damit besteht aktuell Rechtsunsicherheit, wie weit Arbeitsgerichte bei richt­linien­kon­former Auslegung des nationalen Rechts den Schutz des Hinweisgebers ziehen bzw. ziehen müssen.
 

7. Wie muss sich der Arbeitgeber gegenüber dem Verdächtigen verhalten? 

Als Ausfluss der Fürsorgepflicht ist der Arbeitgeber nach einem gemeldeten Hinweis zunächst verpflichtet, einen verdächtigen Arbeitnehmer anzuhören und sich intern um Sachverhaltsaufklärung zu bemühen. Erst nach erfolgter Anhörung des Verdächtigen kommt eine Verdachtskündigung in Betracht, wenn die Anhörung den Verdachtsmoment nicht beseitigen konnte oder gar erhärtet hat. Dem Arbeitnehmer muss gerade die Möglich­keit eröffnet werden, die Verdachtsgründe entkräften oder sogar gänzlich zu beseitigen. Zudem hat sich der Arbeitgeber um eigene Sachverhaltsaufklärung zu bemühen. Ist der Sachverhalt allerdings erwiesen, kann auch eine verhaltensbedingten Kündigung nach den allgemeinen Regeln ausgesprochen werden.
 
Die Notwendigkeit einer vorherigen Anhörung des Verdächtigen gilt auch bei Erstattung einer Strafanzeige, da eine solche ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde. 
 

8. Gibt es bereits die Pflicht eine Hinweisgebersystem und externe Meldebehörden einzurichten? 

In Deutschland besteht eine Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems bis jetzt nur für einzelne Bran­chen, wie Kreditinstitute und Versicherungen. Für diese Branchen gibt es bereits eine externe Melde­be­hörde in Form einer Hinweisgeberstelle bei der BaFin. Diese ist jedoch nicht für Hinweise aus anderen Branchen zustän­dig, sodass abzuwarten bleibt wann und wie eine allgemeine branchenübergreifende externe Hinweisgeberstelle errichtet wird. 
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