Sanierungserlass auf dem Prüfstand

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Mit Beschluss vom 25. März 2015 BFH, Az.: X R 23/13, legt der Zehnte Senat des BFH nunmehr dem Großen Senat die Frage vor, ob das BMF-Schreiben vom 27. März 2003 IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18; sog. Sanierungserlass) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. In diesem Zusammenhang sollen zwei wesentliche Streitfragen in der aktuell geführten Diskussion geklärt werden. Zum einen, ob die Steuerbefreiung gegen zwingende Vorgaben des Einkommensteuergesetzes verstößt und zum anderen, ob ein Verstoß gegen das EU-Beihilferecht vorliegt. Der Zehnte Senat des Bundesfinanzhofs hält den Erlass unter beiden Gesichtspunkten für zulässig, während die Entscheidungen des Ersten und Vierten Senats diese Thematik entweder nicht oder nur in nicht amtlichen Leitsätzen ansprechen.
 

1. Ausgangssituation

Bei der Rettung eines Krisenunternehmens verzichten Gläubiger oft auf nicht unerhebliche Forderungen. Dieser Verzicht führt – jedenfalls auf dem Papier – zu einem außerordentlichen Ertrag, der als Gewinn ertragsteuerlich Berücksichtigung finden müsste. Bis zum Veranlagungszeitraum 1997 waren Sanierungsgewinne nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. steuerfrei. Diese Regelung galt nach § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) auch für die Gewerbesteuer. Nach Einführung des zeitlich unbegrenzten Verlustvortrags in § 10d EStG hat § 3 Nr. 66 EStG a.F. allerdings zu einer nicht gewollten Doppelbegünstigung geführt. Ein vor der Sanierung entstandener Verlustvortrag konnte zeitlich unbegrenzt mit künftigen Gewinnen verrechnet werden, obwohl der Sanierungsgewinn nicht besteuert wurde. Dieser Doppelbegünstigung wollte der Gesetzgeber mit der Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. entgegenwirken. Seither war der Sanierungsgewinn grundsätzlich steuerpflichtig. 
 
In nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. ist zum 1. Januar 1999 die Insolvenzordnung (InsO) in Kraft getreten. Deren wesentliche Ziele waren die Förderung der Sanierung, die bessere Abstimmung von Sanierungsverfahren und die Restschuldbefreiung für den redlichen Schuldner. Die Abschaffung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen stand mit diesen Zielen der Insolvenzordnung in einem „Zielkonflikt”. Denn es war nicht Intention des Gesetzgebers, auf der einen Seite Sanierungen – etwa durch Insolvenzplanverfahren – zu erleichtern und auf der anderen Seite die Sanierung wiederum – durch Besteuerung der aus den Gläubigerverzichten resultierenden Buchgewinne – wieder zu erschweren. Um diesen Konflikt aufzulösen, hat die Finanzverwaltung auf Grundlage der §§ 163, 227 AO mit dem Sanierungserlass in einer allgemeinverbindlichen Verwaltungsanweisung geregelt, unter welchen Voraussetzungen Ertragsteuern auf einen Sanierungsgewinn aus Gründen sachlicher Billigkeit erlassen werden können.
 
Mittlerweile hat sich die ursprüngliche Ausgangslage für die Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. geändert. Der Gesetzgeber hat mit den Änderungsgesetzen vom 22. und 23. Dezember 2003 für die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer eine sog. Mindestbesteuerung eingeführt. Der Verlustabzug bei Verlustvorträgen nach § 10d Abs. 2 EStG n.F. und § 10a Satz 2 GewStG ist auf 1 Mio. Euro und 60 Prozent des 1 Mio. Euro übersteigenden Verlustes beschränkt worden. In diesem Zusammenhang hätte von der Mindestbesteuerung die vorrangige Verlustverrechnung mit dem Sanierungsgewinn allerdings ausgenommen werden müssen. Dies war mit Blick auf den Sanierungserlass nicht notwendig.
 

2. Auffassung des vorlegenden Senats

Nach Auffassung des vorlegenden Zehnten Senats verstößt der Sanierungserlass nicht gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Weder ist der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verletzt, noch liegt ein Verstoß gegen EU-Beihilferecht vor. 
 

Keine Verletzung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 227 AO können Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Der Gesetzgeber hat damit bereits dem Grunde nach in § 163 bzw. § 227 AO die aus seiner Sicht notwendigen Voraussetzungen für eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen bzw. einen Steuererlass festgelegt und die Entscheidung im Einzelfall in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt. Im sog. Sanierungserlass hat das Bundesministerium für Finanzen (BMF) lediglich die entscheidenden Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festgeschrieben und damit nur eine Ermessensreduzierung auf Null erreicht. Aus Sicht des vorlegenden Senats ist das auch notwendig, da die betroffenen Steuern (insbesondere dieEinkommen- und Körperschaftsteuer) durch die Landesfinanzbehörden verwaltet werden (Art.108 Abs. 2 GG) und nach § 85 AO die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben sind.
 
Nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass ein Sanierungsgewinn nicht zu einem Liquiditätszufluss führt, aus dem die Steuerschuld beglichen werden könnte. Er ist ein reiner Buchgewinn. Dass die Erhebung (Einziehung) eines Einkommensteueranspruchs sachlich unbillig sein kann, wenn das Zusammenwirken verschiedener Regelungen zu einer hohen Steuerschuld führt, obgleich dem kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit zugrunde liegt, hat die Rechtsprechung stets anerkannt (so z.B. Urteil des BFH vom 26.10.1994, Az.: X R 104/92).
 

Kein Verstoß gegen EU-Beihilferecht

Ausgehend davon, dass aktuell keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) oder des Europäischen Gerichts (EuG) zur Frage existiert, ob die steuerliche Behandlung eines Sanierungsgewinns gemäß dem sog. Sanierungserlass eine nach Art. 107, 108 AEUV oder nach Art. 87, 88 EGV europarechtswidrige Beihilfe darstellt, verneint der BFH eine solche. Aus den Entscheidungen des EuG bzw. des EuGH zur Sanierungsklausel des § 8c KStG lassen sich keine Folgerungen für die Vorlagefrage ziehen. Bislang hat die Kommission, der die Feststellung der Unzulässigkeit einer Beihilfe im Verfahren des Art. 108 AEUV (Art. 88 EGV) obliegt, die Unzulässigkeit eines Steuererlasses auf Sanierungsgewinne nicht festgestellt. Soweit bekannt, ist kein Überprüfungsverfahren nach Art. 108 Abs. 1 AEUV anhängig oder durchgeführt worden. In einer nicht veröffentlichten Entscheidung im Rahmen einer Einzelfallprüfung hat die Kommission eine Vereinbarkeit des Sanierungserlasses mit dem EU-Beihilferecht angenommen.
 

3. Vorlage an den Großen Senat notwendig

Gleichwohl war eine Vorlage an den Großen Senat angezeigt, da die aufgeworfenen Fragen für den konkret anhängigen Fall entscheidungserheblich sind.  Folgt man der Auffassung des vorlegenden Senats, dass der Sanierungserlass nicht gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt und darauf gestützte Billigkeitsmaßnahmen grundsätzlich zulässig sind, müsste das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden, damit dieses klärt, ob die Voraussetzungen einer Billigkeitsentscheidung nach dem sog. Sanierungserlass vorliegen. Wird die Vorlagefrage entgegen der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats beantwortet, müsste die Revision zurückgewiesen werden.
 
Hinzu kommt, dass die Vielzahl der divergierenden erstinstanzlichen Entscheidungen und die Vielzahl der Literaturbeiträge zeigen, dass der Vorlagefrage auch grundsätzliche Bedeutung für die Sanierungspraxis insgesamt zukommt. Die Frage der Besteuerung von Sanierungsgewinnen ist in unzähligen Sanierungsverfahren, insbesondere in Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren von zentraler Bedeutung. Neben dem Streitfall sind weitere Revisionsverfahren beim BFH anhängig (vgl. BFH I R 52/14 und BFH IV R 6/15), in denen die Frage der Gesetzmäßigkeit des sog. Sanierungserlasses von Bedeutung sein dürfte.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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