Lieferkettengesetz – Haftungsfrage geklärt, Beschluss steht unmittelbar bevor

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veröffentlicht am 31. Mai 2021 | Lesedauer ca. 3 Minuten

von José A. Campos Nave und Clemens Bauer

       
Nachdem das Lieferkettengesetz zuletzt von der Tagesordnung des Bundestags gestrichen wurde, haben sich die Regierungsparteien nun über die heikle Haftungsfrage verständigt. Das Gesetz soll noch vor der Sommerpause beschlossen werden. Auch wenn Corporate Social Responsibility in der internationalisierten deutschen Wirtschaft für viele Unternehmen bereits heute zum Alltag gehört, werden Unternehmen durch das Lieferkettengesetz nun gesetzlich verpflichtet, in allen Phasen ihrer Produktions- und Lieferkette im Ausland die Umwelt- und Arbeitsrechtsbedingungen einzuhalten. Die SPD resümiert „Deutschland bekommt das stärkste Lieferkettengesetz in Europa“. Entwicklungsminister Müller sieht das Gesetz nicht nur als Meilenstein für die Durchsetzung der Menschenrechte in globalen Lieferketten, sondern auch als Vorbild für eine europäische Regelung.

 

  

      

 

Streitpunkt Haftung

Das Urteil der Wirtschaft ist verhaltener: „Das Lieferkettengesetz ist für den unternehmerischen Mittelstand eine völlig überflüssige neue Zumutung in wirtschaftlich schweren Zeiten“, so das Fazit von Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW).
   
Zu unklar, zu weit – insbesondere die Kritik an der Haftungsregelung seitens gewichtiger Wirtschaftsverbände (u.a. Arbeitgeber Gesamtmetall, Außenhandelsverband VDMA) hat zuletzt noch zu einem Dämpfer in den Bemühungen um ein nationales Lieferkettengesetz geführt. Denn neben den Kosten für die Einführung angemessener Compliance-Maßnahmen, hängt das Damoklesschwert der Haftung über den Unternehmen.
  
Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers, sollen durch das Lieferkettengesetz keine zusätzlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiken für Unternehmen begründet werden. Die Umsetzung der im Gesetzentwurf niedergeschriebenen Sorgfaltspflichten wird durch Verwaltungsverfahren sowie im Rahmen von Ordnungswidrigkeitsverfahren angestrebt.
  
Gleichsam war dieser Punkt umstritten, da eine zivilrechtliche Haftung im Entwurf der Bundesregierung gerade nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde, wodurch es zu der Sorge einer Ausweitung der zivilrechtlichen Haftung auf Grundlage des Lieferkettengesetzes kam. Dieser Streitpunkt konnte letztlich im Rahmen eines Änderungsantrags beseitigt werden. Die Unterhändler der Koalitionsfraktionen verständigten sich darauf, den Gesetzentwurf um die Klarstellung zu ergänzen, dass eine Verletzung der Pflichten aus dem Sorgfaltspflichtengesetz keine zivilrechtliche Haftung begründet. Gleichsam wurde klar gestellt, dass eine sonstige zivilrechtliche Haftung unberührt bleibt.
     

Prozessstandschaft und zivilrechtliche Haftung

Offen bleibt, wie sich eine etwaige zivilrechtliche Haftung in der Praxis realisieren kann. Das ist relevant für das Instrument der Prozessstandschaft, das es Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen erlaubt, die Interessen der Beschäftigten ausländischer Unternehmen gegenüber deutschen Auftraggebern zu vertreten.
 
Da hiermit geregelt wurde, wer aufgrund von Verstößen gegen das Lieferkettengesetz gegen ein Unternehmen in Deutschland klagen kann, aber aus etwaigen Verstößen gegen das Lieferkettengesetz keine zivilrechtlichen Ansprüche, d.h. weder Unterlassungs-, Beseitigungs- noch Schadensersatzansprüche nach deutschem Zivilrecht entspringen können, bestimmt sich das anwendbare Recht in diesen Verfahren nach den Vorgaben des internationalen Privatrechts.
 
Mithin ist gemäß Art. 4 I ROM II-VO das Recht des Staates anzuwenden, in dem das schadensbegründende Ereignis eingetreten ist. In Folge ist es denkbar, dass ausländische Geschädigte bei der Geltendmachung ihrer Rechte vor den deutschen Gerichten vertreten werden, für die Beurteilung eines Rechtsstreits allerdings das ausländische Recht maßgeblich ist.
 
Die ausreichende Erforschung des ausländischen Sachrechts nebst korrekter Anwendung (u.a. Ermittlung und Feststellung des ausländischen Haftungsrechts, Entlastungsmöglichkeiten und Beweislastregeln) wird die Gerichte in der Praxis vor erhebliche Herausforderungen stellen. Es ist anzunehmen, dass entsprechende Verfahren von rechtsvergleichenden Gutachten, Auskünften des Auswärtigen Amts oder sonstiger, sachkundiger Einrichtungen begleitet werden.
 
Von Befürwortern des Lieferkettengesetzes wurde die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung deutscher Unternehmen für Schäden, die sie durch die Missachtung der Sorgfaltspflichten mitverursacht haben, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wiederholt verlangt. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass es zur Klärung von Rechtslage und Klagemöglichkeiten Präzedenzfälle geben wird, die durch Aktivisten und NGOs angestrengt werden.
    

Verantwortung für Zulieferbetriebe

Ferner blieb es bei dem Grundsatz, dass inländische Unternehmen nur für den direkten Lieferanten verantwortlich sind. Die Lieferkettenverantwortung der Unternehmen für mittelbare Zulieferer ist eingeschränkt und sieht eine Verantwortung nur dann vor, wenn Unternehmen überprüfbare und ernst zu nehmende Informationen über eine mögliche menschenrechtliche oder umweltbezogene Verletzung bei mittelbaren Zulieferern vorliegen. Erst dann sind Präventionsmaßnahmen einzuleiten.

Im Hinblick auf die Direktzulieferer finden die im Lieferkettengesetz vorgesehenen weitreichenden Organisations-, Prüfungs-, Handlungs- sowie Dokumentations- und Berichtspflichten unmittelbar Anwendung. 
  

Fazit

Der Verabschiedung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, dem sogenannten Sorgfaltspflichtengesetz, besser bekannt unter der Bezeichnung Lieferkettengesetz, steht nun nichts mehr entgegen.
 
Die Zielsetzung des Lieferkettengesetzes ist zu begrüßen. Entlang der Lieferketten müssen die international geltenden Standards zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie zur Einhaltung der Menschenrechte befolgt werden. Es ist nicht akzeptabel, allgemein anerkannte ethische und wirtschaftliche Standards nur in der westlichen Welt sicherzustellen.
  
Gleichsam ist es vor dem Hintergrund der aktuellen Situation zu begrüßen, dass die Einführung erst im Jahr 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiter erfolgen wird. Im Jahr 2024 sinkt diese Grenze auf 1.000 Mitarbeiter. Denn ein Lieferkettengesetz darf gerade in der aktuell pandemiebedingten Sondersituation nicht zu unangemessenen Belastungen in der Wirtschaft führen.
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